Ausschnitt aus der Landkarte des Deutschen Wortatlas zur Verbreitung der verschiedenen Bezeichnungen für den Kreisel

Kreisel, Kräusel, Kruisel, Küsel

Heißt der Kreisel Kreisel, weil er sich im Kreis dreht? Diese naheliegende Erklärung hat zwar etwas mit dem Namen zu tun, aber der Ursprung ist ein anderer.

Eine ältere Bezeichung ist Krüsel oder Kräusel, was von kraus und kräuseln kommt. 

Die älteste schriftliche Erwähnung dieser Bezeichnung findet man im 13. Jhdt. in der Legende der Heiligen Elisabeth von Thüringen (vgl. den Beitrag Heilige). Sie verschenkte „Allerhande kinderspil, krûseln, fingerlînge vil.“ Göthe spricht noch von Kräusel1.

Krug?

In einigen Wörterbüchern2 ist Kräusel als Verkleinerungsform von Krause = Krug angegeben. Als Beleg wird u. a. angeführt, dass Krüseli im Alemannischen „bis heute“ (1943) ‘kleiner Krug‘ bedeutet. Außerdem wird die in machen Gegenden übliche Bezeichnung Topf  für den Kreisel in Zusammenhang mit dem Krug gebracht3.

Diese Erklärung wird Ottilie Henk jedoch nicht übernommen. In ihrer Dissertation zu Deutschen Wortatlas über Kreisel (1944)4 heißt es:

Es ist die idg. Wurzel *ger ’drehen, winden’ anzusetzen (Walde-Pokorny). Durch s-Erweiterung entsteht germ. kruzla, ahd. mhd. kroll ’kraus’ und mhd. krus ’kraus’ dazu das Verbum krusen ’kraus machen, kräuseln’. kruisel ist im Mhd. schon als st.fem. und krusel als st.masc. für den Kreisel belegt. krusel ist wohl eine Instrumentalbildung mit -l-Suffix zu krusen, wie slüzzel zu sliezen, oder zügel zu ziehen (Kluge, Dt. Wortb.37). kriusel wird über spätmhd. kruisel zu nhd. kreusel, krusel zu nhd. krausel, bei dem durch das -ila-Suffix Umlaut zu Kräusel bewirkt wird.

Hildebrandt greift 1964 in seinem Aufsatz „Zur Etymologie des Kreisels5 das Thema auf.  Er verwirft die „semasiologisch6 schwierige Herleitung von Kreisel aus Krause ‚Gefäß‘ “, die außerdem auf einem Trugschluss beruhe, „zu dem das Parallelbeispiel Topf ‚Kreisel‘ /Topf ‚Gefäß‘ verleitet“. Das Wort Topf wird aber in den unterschiedlichen Bedeutungen in getrennten Regionen benutzt, so dass eine Bedeutungsentwicklung von Gefäß zum Kreisel unwahrscheinlich ist.  

Außerdem weist er nach, dass die Bezeichnungen Krüsel, Küsel, Kriesel, Kiesel aus dem niederdeutschen Raum kommen. Aber es gibt noch eine andere Frage: 

Ein Problem im Konsonantismus !

Fanden wir den Ursprung des Wortes im Niederdeutschen auf Grund von Vokalkriterien, so stoßen wir andererseits auf ein Problem im Konsonantismus.

Es geht um das Problem, ob die Formen mit und ohne r krüsel, kürsel, küsel, kusel, krusel  – alles Bezeichnung für den Kreisel – verschiedene Wurzeln haben, wir Henk vermutet, oder ob sie derselben Wurzel entspringen. Henk schreibt:  

Mensing (Wb.3,388)7 meint zwar, dass Krüsel durch Metathesis8 zu kürsel geworden sei, und dass durch Ausfall des r küssel und durch Ersatzdehnung küsel entstanden sei. Die Formen kürsel und küssel treten wohl auch heute noch auf, aber dieser Vorgang, Metathesis und Angleichung des r zu s, scheint ein besonderer Fall zu sein.9 

Henk hat für die verschiedenen Formen mit und ohne r eine andere Erklärung, die Hildebrand aber verwirft. Er gibt Mensing recht: es gibt nur eine Wurzel. (zu den Details siehe Hildebrandt, S. 241-243)

Kreisel im Kreis

Einig sind sich hingegen die Linguisten, dass das Wort Kreisel eine neuere Umdeutung in „Anlehnung an das etymologisch unverwandte, aber naheliegende Wort Kreis“ ist 10„volksetymologisch in Anschluß an die kreisförmige Bewegung des Gerätes umgedeutet“11.

Der Familienname Kreisel geht dagegen vermutlich auf den ursprünglichen Zusammenhang mit kraus zurück12. Das Kinderbuch „Kreisel und die Zwölf“13 hat gar nichts mit Kreiseln zu tun, eine Hauptperson hat den Spitznamen Kreisel wegen seiner krausen Haare. 

Bild oben: Ausschnitt aus der Karte „Kreisel“ zum Deutschen Wortatlas 12, Giessen : Wilhelm Schmitz, 1962


  1.  Göthe an Knebel 3. febr. 1782; dasz sie sich mit unglaublicher geschwindigkeit wie kräusel drehen (nach
    https://www.dwds.de/wb/dwb/kräusel); und
    http://www.zeno.org/Literatur/M/Goethe,+Johann+Wolfgang/Briefe/1782 ↩︎
  2. Kluge 1899, Heyne 1906, Trübner 1943, ↩︎
  3. Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 1899 ↩︎
  4. Henk, Ottilie; Deutscher Wortatlas: Der Kreisel, Phil. Diss., Marburg, 1944 (masch.), S. 13 ↩︎
  5. Hildebrandt, Reiner; Zur Etymologie des Kreisels, in: Zeitschrift für Mundartforschung XXXI: Jahrgang, 1964, S. 239ff ↩︎
  6. Semasiologie: Forschungsrichtung der Semantik, die danach fragt, welche Bedeutung bestimmte Wörter haben. Sie geht also von den Wörtern aus und fragt danach, auf welche Sachverhalte, Gegenstände etc. sie angewendet werden können. https://de.wiktionary.org/wiki/Semasiologie ↩︎
  7. Mensing, Otto (Hrsg.); Schleswig-Holsteinisches Wörterbuch, 1927 ↩︎
  8. Metathese (altgriechisch μετάθεσις metáthesis „Umstellung“) bezeichnet in der Phonologie eine Lautveränderung, die in der Umstellung eines Lautes oder der Vertauschung von Lauten innerhalb von Wörtern besteht https://de.wikipedia.org/wiki/Metathese_(Phonetik) ↩︎
  9. Henk, a. a. O., S. 20 ↩︎
  10. Hildebrandt, a. a. O. ↩︎
  11. Kluge, a. a. O. ↩︎
  12. Ein andere, sehr erstaunliche Erklärung: https://www.igenea.com/de/nachnamen/k/kreisel ↩︎
  13. Becker, Rolf; Kreisel und die Zwölf – Eine Jungengeschichte aus unseren Tagen, Stuttgart : Kreuz-Verlag, 1951 ↩︎
Kinderbeilage zum 9. Elsa-Heft 1950
(mit Anleitung zum Selbstbau von Kreiseln aus alten Garnrollen)