Ausschnitt aus einem Kupferstich: in der Mitte ein Junge mit Peitschenkreisel, andere Gestalten darum herum

Gottes Peitsche

Die Emblem-Literatur war in den Niederlanden im 17. Jahrhundert besonders beliebt. Mit einem Motto, einem Bild und einem Sinngedicht versuchten die Autoren, insbesondere ethisch-moralische Ansichten zu verbreiten. Dabei werden der Kreisel und Peitsche als Symbol benutzt, um dem Unglück einen Sinn zu geben und die Menschen zu gottesfürchtigen Verhalten anzuhalten:

„Ohne Schläge des Schicksals wird der Mensch faul und kommt vom rechten Weg ab.“

Roemer Visscher

Roemer Visscher (1547-1620), ein holländischer Dichter und Kaufmann veröffentlichte 1614 die Emblemsammlung Sinnepoppen1.  Hier ist es Gottes Hand, die aus dem Himmel heraus den Kreisel mit der Peitsche antreibt. Überschrieben ist das Blatt mit „Soo langh de Roe wanckt.“ (Solange die Rute schlägt.)

Fantasie-Portrait2

Auf der linken Seite des Buchs steht ein erläuternder Text:

Veel menschen zijn deughdelijck, soo langh sy onder het kruys en verdruckinge leven: maer als de Roede van den eers is3 , soo worden sy luy in den dienste Godts. Gelijck een Drijf-tol, die niet meer geslagen of gegispt en wordt, die valt haeft in onmacht ende blijft liggen.

Viele Menschen sind tugendhaft, solange sie unter dem Kreuz und in Bedrängnis leben: aber sobald die Gefahr vorbei ist, werden sie träge im Dienst Gottes. Wie ein Kreisel, der nicht mehr geschlagen oder angetrieben wird, der fällt bald in Ohnmacht und bleibt liegen. 

Diese Botschaft wird unter dem Bild wiederholt:

Luy, vadsigh, log en traegh, tot wel doen heel verstijft Sijn wy o Godt! tot dat u slaende hant ons drift.

Faul, träge, schwerfällig und langsam, zum Wohltun ganz versteift, sind wir, oh Gott! bis deine schlagende Hand uns antreibt.

Außer diesem Blatt zum Peitschenkreisel gibt es  auch ein Blatt zum Wurfkreisel.

Daniël Heinsius

Daniël Heinsius (1580-1655) war ein bekannter Gelehrter der niederländischen Renaissance, Professor für Latein und Griechisch und sechzig Jahre seines Lebens Bibliothekar der Universitätsbibliothek Leiden.

1613 erschien als Fortsetzung von Heinsius‘ „Emblemata amatorial“ (1607/8) ein weiteres Buch mit Liebes-Emblemen: Ambacht van Cupido (Handwerk des Cupido). Hier in der Fassung von 1616 in dem Buch Nederduytsche poemata4.

Daniël Heinsius5

Vapulando sustentor.

Gelijck den tol die draeyt gestadich wort gedreven
En door de handt gekeert, die hem geduyrich slaet,
Soo gaet het oock met ons, de wreetheyt doet ons leven
Die ons gestadich quelt. zy onderhoudt ons quaet.
Ons lijden wort gevoet met tegenspoet int minnen.
Dat selve geeft ons moet. neemt wech dees soete pijn
Die ons noch hopen doet, al ist dat wy niet winnen
En leven sonder hoop, wat sal de minne sijn?

Unterstützung durch Auspeitschen

Wie der Kreisel, der sich dreht, ständig angetrieben
und von der Hand, die ihn schlägt, gedreht wird,
so geht es auch mit uns, die Grausamkeit lässt uns leben,
die uns ständig quält. Sie hält uns zornig.
Unser Leiden wird genährt mit Unglück in der Liebe.
Das gibt uns Mut. Nehmt diesen süßen Schmerz weg,
der uns noch hoffen lässt, auch wenn wir nicht gewinnen
und ohne Hoffnung leben, was wird die Liebe sein?

Auch wenn es hier nicht direkt Gottes Hand ist, die schlägt, so gibt es doch auch hier das Motiv, dass die Schläge des Schicksals oder der unglücklichen Liebe den Menschen in Schwung und am Leben halten.

Jacob Cats

Jacob Cats, (1577-1660) war ein populärer Dichter, dessen moralisierende Botschaften von vielen Menschen gelesen wurden und dessen Werke auch ins Deutsche übersetzt wurden. Seine Betrachtungen über Kinderspiele wurden in verschiedenen Büchern herausgegeben:

Porträt von Cats, gemalt von Michiel Jansz van Mierevelt.6

1. Silenus Alcibiadis sive Proteus7 (1618)

Das Buch ist eine größere Sammlung von Emblemen und Sinnsprüchen, die in mehreren Teilen geduckt wurden. Was sie Sache mit Silenus, Alkibiades und Proteus zu tun hat, ist im Vorwort erklärt8

Am Ende des 2. Teils ist das Kapitel Kinder-Spel. Es enthält eine große, doppelseitige Abbildung von verschiedenen Kinderspielen auf dem Platz vor dem Gericht von Zeeland in Middelburg, ein Kupferstich von Adriaen van de Venne (1589-1662). Die Stelle ist auch heute wiederzuerkennen

In dem darauf folgenden Text gibt es zu jedem Spiel zwei lateinische Zitate als Motto und ein Vers in Niederländisch. Zum Kreisel heißt es:

Nam in metu esse huc, ille est utile. – Terent
Adversa corporis, remedia sund anima. – Isidor 

Den top draeyt omme knap en vlugg‘,
Soo lang‘ de sweep kleeft aen zijn rugg‘,
Maer nauw‘ en laet den gheessel of,
Hy leyt, ghelijck een block, in’t stof;
Wy hebben Godt als by den voet,
Soo lang‘ wy zijn in tegenspoet, 
Maer als de roed‘ is van den eers,
Dan hout de duyvel weer de keers.

Denn in der Furcht zu sein, das ist nützlich.
Die Gegenmittel des Körpers sind die Heilmittel der Seele.

Der Kreisel dreht sich geschickt und schnell,
solange die Peitsche an seinem Rücken klebt,
aber kaum lässt die Geißel los,
liegt er, wie ein Block, im Staub;
Wir haben Gott wie am Fuß9,
Solange wir in Not sind,
Aber wenn die Gefahr vorbei ist,3
Dann herrscht wieder der Teufel. [???10].

2. Huwelijk11  

In dem 1625 erschienenen Buch Huwelijk (= Ehe) führt Cats seine Vorstellungen der idealen Ehe aus. Im Mittelpunkt steht der Lebensverlauf der verheirateten Frau. Cats unterteilt dies in vier Phasen: Braut, Ehefrau, Mutter und Witwe und hält allerhand Ratschläge bereit. Das Buch war sehr populär und wurde 50.000 mal verkauft. Es hatte großen Einfluss auf die Ansichten zur Beziehung von Frauen und Männern in der Ehe. Weitere Informationen zu dem Buch: Nachwort der Neuausgabe(nl), Artikel von Diane Holtkamp(en).

Das Buch beginnt mit einer ähnlichen Fassung der Kinderspiele. Wieder ist es ein Stich von Adriaan van der Venne, der den Text begleitet. Die Kinderspiele werden diesmal in einer Kulisse von Den Haag dargestellt: Lange Voorhout, links die Häuser am Kneuterdijk, auch hier kann man die Situation heute noch gut erkennen.

Zum Kreisel gibt es einen anderen Text, aber mit der gleichen Aussage:

De tol draeyt lustigh op de vloer
Gegeesselt met een vinnigh snoer,
En hoe dat yemant harder slaet,
Hoe dat hy beter omme-gaet;
Maer laet de svveep een vveynigh of,
Soo valt hy neder in het stof,
En doet voortaen niet eenen keer,
Maer is een block voor immermeer.
Men past noyt beter op het stuck,
Als in verdriet en ongeluck,
VVant leefter yemant sonder pijn,
Die roest terstont van ledich sijn;
Siet! vvaer een vveeligh mensche rust
Daer sijght het herte na de lust.

Dieser Text wurde 1657 von Johann Heinrich Amman ins Deutsche übersetzt:

3. Amman, Meyer; Sechs und zwänzig nichtige Kinderspiel / Jacob Catsen Kinder-Lustspiele 12

Jacob Cats‘ „kinder-spel“ wurde von Johann Heinrich Amman ins Hochdeutsche übersetzt, „zur underweisung in guten sitten“, wie es im Titel heißt. Diese Übersetzung wurde 1657 von Conrad Meyer ergänzt, mit Kupferstichen versehen und herausgegeben.

Dort heißt es zum Kreisel (der da „Topf“ genannt wird):

Das Bild zeigt im Hintergrund den verlorenen Sohn beim Gebet und Schiffe in Seenot und wiederholt in der Unterschrift die Aussage:

Das trübsal muntert auff
Zum frommen Lebens-lauff;
Der wolstand machet träg
Zum rechten himmels-wäg.

Der Topf lauft hurtig wie man schaut
wann man ihn mit der geisel haut/
je mehr man dapfet auf ihn schlägt/
je mehr er sich im lauff bewegt;
so bald die geisel stille steht/
so falt er hin und nimmer geht/
beweget sich ganz nimmermehr/
er bleibt ein Holz noch wie vorher.
  Nie siht man besser auf die sach/
dann in unglükk und ungemach/
dann lebet jemand ohne pein/
der rostet bald von müssig seyn;
schaut! wann ein Mensch in freuden lebt
sein herz auch bald nach lüsten strebt.

Joannes Luiken

Joannes Luiken (Jan Luyken, 1649-1712) war ein Kupferstecher aus Amsterdam, von dem nicht nur über 3000 Kupferstiche erhalten sind, sondern der auch literarisch tätig war. 1712 erschien posthum das Werk „Des Menschen Begin, Midden En Einde13. Auch hier werden sollen die fleißigen Schläge zu Gottes Wohlgefallen führen.

Jan Luyken14

Men slaat niet om hem dood te slaan,
Maar houd daar meê het leven aan.

De Dryftol, door de zweep gedreeven,
Werd onderhouden by zyn leven:
Zo ook, het menschelyke hert,
Door naarstigheid van veele slagen,
Die dryven tot Gods welbehaagen,
Op dat het niet, als dood en wird!

Man schlägt nicht um ihn tot zu schlagen, sondern hält ihn damit am Leben

Der Kreisel, durch die Peitsche angetrieben,
wird während seines Lebens aufrecht erhalten:
So auch das menschliche Herz,
durch die Fleißigkeit vieler Schläge,
die zu Gottes Wohlgefallen treiben,
damit es nicht wie tot wird!

Außer diesem Blatt zum Peitschenkreisel (Dryftol) gibt es  auch ein Blatt zum Wurfkreisel (Werptol).

Christian Felix Weiße

Auch noch 1772 wurde die Geschichte von der wohltuenden Wirkung der Schläge von Christian Felix Weiße in dem Gedicht Der Kräusel wiederholt.

Mein Kräusel hüpfet froh umher,
Wenn ich ihn fleißig treibe;
Doch ganz unthätig lieget er,
Wenn ich in Ruhe bleibe.–

Wer stets dem Glück‘ im Schooße ruht,
Wird oft zur Tugend träge;
Doch er wird thätig, weise, gut,
Fühlt er des Unglücks Schläge.

Christian Felix Weiße, Kleine lyrische Gedichte, Band 3, Leipzig : Weidmanns Erben und Reich, 1772, S. 8615

In der Ausgabe von 1793 heiß es dann schon: Der Kreisel !

Joachim Meisner

Nachdem in der barocken Sinnlehre die Peitsche von Gott geführt wird und den Menschen auf dem rechten Weg hält, hat sie jetzt – wie Kardinal Meissner erkannt hat – wohl der Teufel übernommen und führt den Menschen in schlimmste Verwirrungen:

Unter den Terror des Sexus ist der Mensch ein Geschlechtstier geworden, das nur noch aus Körperlichkeit und Begierde besteht. Er gleicht einem Kreisel, der von der Peitsche sexueller Aufreizung zu immer rasenderer Umdrehung getrieben wird.16

Er muss es ja wissen.

Hier wird übrigens das Bild umgekehrt. Auch wenn sich Meisner und die Autoren des 17. Jahrhunderts sicherlich einig sind, dass es schlecht ist, wenn das „Herz nach Lüsten strebt“, benutzen sie das Bild des Kreisels in entgegengesetzter Weise. Während die durch die Schläge entstandene Bewegung früher das Erstrebenswerte war, wird sie heute als „rasende Umdrehung“ verteufelt.


  1. Diese Sammlung wurde in verschiedenen Ausgaben mit unterschiedlicher Rechtschreibung herausgegeben, z. B.: Roemer Visschers Zinne-poppen – alle verciert met rÿmen en sommighe met proze: Door zijn Dochter Anna Roemer, Amsterdam 1678 https://books.google.de/books?id=ajBbAAAAQAAJ ↩︎
  2. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Roemer_Visscher_at_the_age_of_71.gif
    https://nl.wikipedia.org/wiki/Roemer_Visscher ↩︎
  3. Hinweise zur Übersetzung: https://www.dbnl.org/tekst/viss004sinn01_01/viss004sinn01_01_0168.php ↩︎
  4. Daniël Heinsius, Ambacht van Cupido, from: Nederduytsche poemata (1616) https://emblems.hum.uu.nl/he1616009.html Zur Geschichte des Buchs: https://emblems.hum.uu.nl/he1616_introduction.html ↩︎
  5. https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Daniel_Heinsius_-_Imagines_philologorum.jpg ↩︎
  6. https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Michiel_Jansz_van_Mierevelt_-_Jacob_Cats.jpg ↩︎
  7. Iacobi Catzii J.C. Silenus Alcibiadis sive Proteus: humanae vitae ideam, emblemate trifariam variato, oculis subjiciens ; iconibus artificiose in aes incisis, ac trium linguarum explicatione eleganter elustratus, Amsterdam : Blaeuw, 1622 https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11347833?page=255 ↩︎
  8. https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11347833?page=14 (in Platons „Symposion“ vergleicht Alkibiades Sokrates mit einem Silen) ↩︎
  9. Hierzu gibt es den Übersetzungshinweis: „als würde man ihn an seinem Fuß halten (als Geste des Flehens).“ 
    https://www.dbnl.org/tekst/cats001sinn02_01/cats001sinn02_01_0058.php ↩︎
  10. Vielleicht wörtlich: dann hält der Teufel wieder die Kerze (Dan houdt de duivel weer de kaars)?? Keers scheint hier Kerze zu bedeuten: https://emblems.hum.uu.nl/c1618_concordance.html?letter=K ↩︎
  11. https://www.dbnl.org/tekst/cats001huwe01_01/index.php ↩︎
  12. Auf dem ersten Titelblatt heißt es: Sechs und zwänzig nichtige Kinderspiel zu wichtiger Erinnerung erhebt und in Kupfer gebracht durch Conrad Meyer, Maalern in Zürich.
    Danach folgt ein zweiter Titel: H. Jacob Catsen Kinder-Lustspiele, durch Sinn- und Lehrbilder geleitet zur Underweisung in guten Sitten / auss dem Nider- in das Hochteutsche gebracht durch H. Johann Heinrichen Amman ; und mit Kupferstükken geziert, vermehret und verlegt durch Conrad Meyern, Mahlern in Zürich, 1657.
    https://www.e-rara.ch/zuz/content/zoom/2892955 ↩︎
  13. Luiken, Joannes; Des Menschen Begin, Midden En Einde. Vertoonende het Kinderlyk Bedryf en Aanwas, In Een en vyftig Konstige Figuuren ; Met Godlyke Spreuken En Stichtelyke Verzen ; Met het Leven van den Autheur. Vertoonende het Kinderlyk Bedryf en Aanwas, In Een en vyftig Konstige Figuuren ; Met Godlyke Spreuken En Stichtelyke Verzen ; Met het Leven van den Autheur. Amsteldam: Vander Sys, 1712 http://diglib.hab.de/drucke/lp-84/start.htm?image=00119 ↩︎
  14. https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Bowyer_Bible_Volume_1_Print_7._Portrait_of_Jan_Luyken._Bronen.gif ↩︎
  15. https://www.google.de/books/edition/_/4F07AAAAcAAJ?hl=de&gbpv=1 ↩︎
  16. Kardinal Meisner in der Silvesterpredigt im Kölner Dom 1997 zit. nach Bild v. 2.1.1998 ↩︎