Kupferstich von Jan Swelinck: aus der Wolke kommt eine Hand mit einer Maske, vorn liegen Kreisel und Peitsche, 3 Kinder stehen dabei, 3 rennen ängstlich weg und stolpern übereinander.

Inverte, et avertes

Aus der Wolke kommt eine Hand, die eine Maske hält, drei Kinder, die wegrennen und übereinander stolpern, während die drei anderen ruhig dabeistehen, verschiedene Kreisel im Vordergrund – was hat das alles zu bedeuten?

Es ist ein Bild aus der Emblemsammlung Sinn- en Minne-Beelden oder Emblemata von Jacob Cats, die zuerst 1618 in dem Buch Silenus Alcibiadis sive Proteus erschienen ist und dann in verschiedenen Auflagen1 variiert wurde.

Und mit Kreiseln hat das Ganze eigentlich nichts zu tun; die sollen nur zeigen, dass die Kinder mitten im Spiel überrascht wurden, der eine Wurfkreisel steht noch drehend aufrecht, zwei Peitschenkreisel und eine Peitsche liegen dabei. Die auf den Boden gezeichneten Kreise, in denen die Kreisel liegen, deuten auf ein Spiel hin. Vielleicht ging es dabei darum, mit dem eigenen Kreisel den der Anderen aus dem Kreis zu schubsen. Oder es war das Ziel, den Kreisel möglichst in die Mitte zu werfen; die konzentrische Kreise erinnern an eine Zielscheibe.2 Die daneben liegenden Knochen sollen vielleicht Astragale darstellen, bestimmte Mittelfußknochen von Schafen, die wie Würfel benutzt wurden.

Überschrieben ist das Bild mit Inverte, et avertes, etwa: Dreh es um, und du wirst es abwehren.

Es geht darum, dass man immer hinter die Sache sehen soll, erst einmal die Rückseite betrachten, bevor man vor Angst davonläuft. Das Wissen um die Kehrsseite der Dinge hilft, die Situation richtig einzuschätzen. So ist auch das Bild zu deuten. Während ein Teil der Kinder sich von der Maske erschrecken lässt, wegläuft, sich duckt und durcheinander stolpert, sind die anderen unbeeindruckt, einer legt seine Hand beruhigend auf die Schulter seines Kumpels, und sie zeigen, vermutlich spottend, auf die Ängstlichen. (Vielleicht haben sie aber nur den Vorteil, dass sie die Maske von hinten sehen können.)

Es folgen Zitate von Plutarch und Seneca in Latein, die raten, mit Vernunft und Wissen gegen die Angst anzugehen oder dass Dinge, die von außen unterschiedlich aussehen, von innen gleich leer sein können. 

Dann wird in den Texten das Thema von verschiedenen Seiten beleuchtet. Zunächst wird es ausgedehnt auf andere Situationen, die jemanden erschrecken können, aber dann doch auch ihr Gutes haben: Wenn ein Heiratsantrag abgelehnt wird (was blauwe scheen = blaues Schienbein genannt wird!), so ist das zwar zunächst schrecklich, anderseits erhält man sich dadurch aber die Bequemlichkeit und Freiheit. Mit der Hoffnung verliert man auch die Furcht – so heißt es hier, eine etwas gewagte Argumentation.

Dann wird es Grundsätzlicher: Unter der Überschrift „Doot waer is u prickel?“ (Tod, wo ist dein Stachel? 1. CORINTH. 15, 55) wird ausgeführt, dass das Gleiche für den Tod gilt: zunächst ist er erschreckend, aber wenn man bedenkt, dass nach dem Elend auf der Erde das ewige Leben im Himmel kommt, ist der Tod nur noch halb so schrecklich, wenn nicht gar wünschenswert.  

„Die Welt wird mich nicht vermissen, wenn ich von hier gehe; denn es gibt dort viele und bessere Bewohner. Ich werde die Welt nicht vermissen, wenn ich sterbe; denn vieles, sogar Besseres, erwartet mich: In dieser Welt ist überall großes Unglück, außerhalb davon ist höchstes Glück.“ (In der Übersetzung von chatgpt)

In der deutschen Ausgabe von 1710 wird das Ganze so zusammengefasst:

XXVII. Sinn-Bildes erste Erklärung
Ein Mumm-Gesicht / Und anders nicht
Was läst so grosse Furcht sich bey der Liebe spühren/
Die größte Straff ist nur die Liebste zu verlieren:
   Man kriegt ja alsdann den Korb noch zum Geschenck/
   Damit der Liebsten man ist dabey eingedenck.
Kann man die Liebst nicht / noch ihre Gunst / erwerben/
So muß die Furcht dann doch/ sie zu verlieren / sterben:
   Man ist deswegen ach nicht weiter in Gefahr/
   Und man wird wieder frey / wie man vor diesem war.

XXVII. Sinn-Bildes zweyte Erklärung
Wer es recht besieht: Deßwegen nicht flieht.
Wie daß das Frauen-Volk die Kinder auch mit Hauffen
Oft für ein Mumm-Gesicht und schwarze Larve kauffen/
   Sie werden sich davon was seltsams bilden ein/
   Als wann nothwendig es der Schwarze müste seyn.
Sonst wann sie recht das Ding und es bei Licht besehen/
So werden sie darum nicht aus der Stelle gehen:
   Ja/ ja die Furcht/ die Macht / ein schrecklich grausam Ding
   Was da an sich wohl nichts / wo nicht doch gar gering. 

XXVII. Sinn-Bildes dritte Erklärung
Todt/ wo ist dein Stachel.
1. Cor. XV. 55
Es kann ein Mumm-Gesicht / die Kinder sehr erschrecken/
Das ihren besten Freund doch offters muß bedecken/
   Sie lauffen weit davon/ so bald sie nur es sehn/
   Da doch / wer solches kennt / nur lacht und bleibet stehn.
Wir lassen durch den Todt erschrecklich uns bethören/
Und zittern fast wann wir davon was hören:
   Jedoch ein rechter Christ schätzt ihn für einen Freund/
   Und fürchtet sich nicht sehr / schon er unfreundlich scheint.

Ausgaben

Von dem Werk sind verschiedene Auflagen erschienen, zum Beispiel:

In der Ausgabe von 1618 Silenus Alcibiadis sive Proteus hat das Emblem die Nummer 26. Es gibt 2 Zitate auf Latein, der erläuternde Text beschränkt sich auf eine Seite mit jeweils einem kurzen Gedicht in Niederländisch, Latein und Französisch. 

1627 sind noch etliche Zitate und Kommentare hinzugekommen. Im Buch PROTEVS OFTE MINNE-BEELDEN VERANDERT IN SINNE-BEELDEN DOOR J. Catz umfasst die Sammlung zu diesem Emblem, jetzt mit der Nummer 27, sechs Seiten.

Ausführlich nachzulesen ist das Ganze beim Emblem Projekt Utrecht, mit Kommentaren und Anmerkungen, in Niederländisch. Die Texte, die nicht ohnehin niederländisch sind, sind hier (Teil 2, S. 469-483) ins Niederländische übersetzt3.

In der Ausgabe von 1712 Alle de wercken van den Heere Jacob Cats 4 ist der Text ist unverändert, aber nun auf 2 größeren Seiten abgedruckt.

Das Bild oben stammt wohl aus dieser Ausgabe von 1712, aber es scheint dieselbe Platte benutzt worden zu sein wie 85 Jahre zuvor (1627), alle Details stimmen bis ins Kleinste überein!

Auf Deutsch erschien 1710 ein Buch, das die Embleme von Cats in kleinen Bildern grob wiedergibt und mit einen deutschen Text versieht, der mehr eine Zusammenfassung als eine Übersetzung ist (s. o.).

Des unvergleichlichen holländischen Poëten, Jacob Cats, … Sinnreiche Wercke und Gedichte : Aus dem Niederländischen übersetzet. Hamburg : Wiering, 1710

Auf Englisch gibt es 1860 die Ausgabe Moral emblems 5 mit Texten in Latein und Englisch. Dabei sind die Texte gegenüber den Ausgaben von Cats noch ergänzt worden. Die zugehörige Abbildung ist ein neuer Stich mit dem gleichen Motiv.

Das Bild

Die Illustrationen stammen ursprünglich von Adriaen Pietersz. van de Venne (1589-1662), einem Maler und Illustrator aus Den Haag6.

Für die Auflage von 1627 hat Jan Gerritsz. Sweelinck (ca. 1601-1660) die Bilder neu gestochen, einen Rahmen und seine Initialen JS hinzugefügt, siehe oben. Er lebte in Amsterdam, als Hauptschaffenszeit wird 1624 bis 1645 angegeben7.

Offensichtlich hat Sweelinck die Vorlage unverändert auf die neue Druckplatte übertragen. Da der Druck aber spiegelverkehrt zur Druckplatte erscheint, ist das Bild in der neuen Ausgabe seitenverkehrt.

Literatur:

Jacob Cats Sinne- en minnebeelden, Studie-uitgave met inleiding en commentaar, verzorgd door Hans Luijten. Monumenta Literaria Neerlandica IX, 1-3, Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen, Constantijn Huygens Instituut, Den Haag, 1996 (3 Teile: Texte, Kommentare und Apparat) https://www.dbnl.org/tekst/cats001sinn04_01/index.php oder https://www.textualscholarship.nl/?p=3787 (Niederländisch)


  1. Übersicht über alle Auflagen: https://www.dbnl.org/tekst/cats001sinn03_01/cats001sinn03_01_0005.php ↩︎
  2. Das spricht m. E. gegen die in der Studie-uitgave S. 467, Fußnote 1, geäußerte Annahme, dass es sich hier ausschließlich um Peitschenkreisel handelt. Dieses Spiel wird typischerweise mit Wurfkreiseln gespielt. Allerdings fehlen die für die Wurfkreisel nötigen Schnüre zum Abwerfen auf dem Bild. ↩︎
  3. Jacob Cats Sinne- en minnebeelden, Studie-uitgave … (s.o.) Teil 2, S. 460ff  ↩︎
  4. Alle de wercken van den Heere Jacob Cats … Amsterdam, 1712, 1. Sinne- en Minne-beelden. S. 54f ↩︎
  5. Cats, Jacob. Moral emblems with aphorisms, adages, and proverbs, of all ages and nations, from Jacob Cats and Robert Fairlie. With illustrations freely rendered, from designs found in their works, by John Leighton, F.S.A. The whole translated and edited, with additions, by Richard Pigot, Member of the Leyden Society of Netherlands Literature. London: Longman, Green, Longman and Roberts, 1860. https://pdfcoffee.com/moral-emblems-1860-pdf-free.html ↩︎
  6. siehe auch https://rkd.nl/artists/79989 ↩︎
  7. http://www.biografischportaal.nl/en/persoon/37409405 ↩︎