Ausschnitt aus dem Bild von Pieter Bruegel dem Älteren, die Jäger im Schnee: Kinder die mit Peitschenkreiseln auf dem Eis spielen.

Die Gräfin Alberade und das Kreiselunglück

Oder: Wie Einer von dem Anderen abschreibt

Immer wieder findet sich in der volkskundlichen Literatur der Hinweis, dass das Benediktinerstift Banz im Fränkischen Banzgau von der Gräfin Alberade gegründet wurde, nachdem ihr Sohn, auf dem gefrorenen Main den Kreisel treibend, ertrunken sei. 

Diese Begebenheit wird zitiert u. a. von Endrei (1986), Henk (1944), Wehrhan (1909) und Boesch (1900), Böhme (1897), Richter (1871)1

Erstaunlicherweise stößt man bei dem Versuch, genaueres zu erfahren, auf die Auskunft, dass das Kloster Banz zwar von Alberada um 1070 gegründet wurde, aber der Kreiselunfall scheint nicht der Grund gewesen zu sein. 

Was historisch belegt ist (?)

Nachdem der Banzgau in Schweinfurter Besitz übergegangen war (erster Nachweis hierfür aus dem Jahre 941), erbaute einer der Schweinfurter Herrscher eine Burg an die Stelle des heutigen Klosters. Als schließlich 1057 Otto von Schwaben als letzter männlicher Vertreter dieses Geschlechts starb, erbte eine seiner fünf Töchter, Albarada, den Banzgau. Sie heiratete Graf Hermann, der von Grafen von Habsberg-Kastl abstammte. Da die Söhne der beiden schon früh starben und die Tochter, deren Existenz in nur einer Quelle gefunden werden konnte, unstandesgemäß heiratete, beschlossen Albarada und ihr Mann das Schloss in ein Benediktinerkloster umzuwandeln.

http://www.mgl-obermaingeschichte.de/barock/SeitenBanz/Banz%20Geschichte.htm2

Die Legende zum Kloster Banz

Die Gründungslegende schildert die Sache allerdings ganz anders:

Albarada ist die Tochter des Grafen von Banth (altdeutsch für Banz) und erbte von ihrem Vater den Banzgau. Hermann und Albarada hatten drei Söhne: Conrad und Otto, die bald verstarben und Heinrich, der im Winter auf dem Main spielte, ins Eis einbrach und ertrank. Ihre Tochter wurde von einem Hauptmann namens von Ratzeburg entführt, da sie die Heirat mit ihm abgelehnt hatte. Graf Hermann starb durch einen Lanzenstich bei einem Turnier, wie es das eine der beiden großen Deckengemälde zeigt. Das andere zeigt die angebliche Pilgerfahrt Albaradas, die sie aus zwei Gründen machte.

Der eine Grund war die Bitte an den Papst, ihrem Gatten ein kirchliches Begräbnis zu gewähren. Dieses Recht hatte er verwirkt, da er an einem zu der Zeit angeblich verbotenen Turniere teilgenommen hatte. In Wirklichkeit gab es zu der Zeit gar keine Turniere. Graf Hermann starb wahrscheinlich in einer Schlacht. In der Legende erhält Albarada die Erlaubnis, ihren Mann kirchlich zu bestatten, denn sie argumentierte geschickt, dass doch Mann und Frau ein Leib seien, und sie anstelle von ihm Buße tun könne.

Der zweite Grund war die Bitte um die Erlaubnis das Kloster gründen zu dürfen, die sie dann auch erhält.

http://www.mgl-obermaingeschichte.de/barock/SeitenBanz/Banz%20Geschichte.htm

Das Kreiselunglück wird hier zwar erwähnt, aber nicht als Grund für die Klostergründung! Als Anlass wird hier ein Tunierunfall ihres Gemahls Graf Hermann von Habsberg-Kastl angegeben.

Die Legende zum Kloster Heidenfeld

Der Kreiselunfall scheint zu einer anderen Klostergründung zu gehören, nämlich zu dem Kloster Heidenfeld bei Schweinfurt, das Alberade und ihr Gatte um 1069 gegründet haben. 

Die Gräfin Alberada von Banz war eine von fünf Töchtern des Markgrafen Otto von Schweinfurt, des letzten seines Stammes. Sie hielt sich nach dem Tode ihres Gemahls Hermann von Banz bei ihren Verwandten auf Schloß Mainberg auf. Im Winter spielte ihr Sohn Konrad, der einzige, der von dreien am Leben geblieben war, mit einem Kreisel auf dem Eise des Maines. Das Eis war aber nicht überall gleichmäßig stark. Beim Spiel kam das Kind auf eine dünne Stelle, brach ein und ertrank. Man konnte es nicht mehr retten, denn es war unter die Eisschollen geraten und wurde vom Wasser abgetrieben. Was klagte da die Mutter, als man ihr die Kunde brachte! Jetzt blieb ihr nur noch ihre einzige Tochter, die sie später auch noch verlieren sollte.

In Trauer um den verlorenen Sohn gelobte sie, ein Kloster an der Stelle zu erbauen, wo man den Leichnam des Kindes fände. Der Main hatte zu jener Zeit einen vielfach gewundenen Lauf. Die Dienstmannen des Schlosses suchten tagelang die Ufer ab. Erst weit abwärts, zwei Stunden unterhalb des Schlosses konnte man am linken Mainufer die Leiche bergen. Hier gründete die untröstliche Mutter dann zum Andenken an ihren Sohn Konrad im Jahre 1060 das Chorherrenstift und Kloster Heidenfeld.

Das Klosterstift in Heidenfeld – Ein Führer durch Schweinfurt und seine Geschichte

Die Stiftungsurkunde spricht allerdings nur von höherer Ehre Gottes und Seelenheil, für einen Unfall oder Kreisel gibt es keinen historischen Beleg.3 Es scheint sich also eher um eine Legende zu handeln.4

Aber weshalb nennen alle Autoren das Kloster Banz statt des Klosters Heidenfeld?

Die Quelle der Verwirrung

Dies geht vermutlich zurück auf Rochholz5 (1857), der auch das Kolster Banz erwähnt und als einziger eine Quelle für diese Sage nennt: Das Deutsche Sagenbuch von Ludwig Bechstein (1853). Allerdings wird dort wird der Zusammenhang nicht so klar formuliert und Rochholz hat es wohl falsch zusammengefasst.

Bechstein schreibt nämlich:

Im alten Banzgau saß ein Gaugraf hennebergischen Stammes, der vermählte sich mit einer frommen Dame aus dem Niederland, die hieß Alberade. Deren Leben ward gar schwer geprüft; einen blühenden Sohn verschlang ihr der Main, als der Knabe auf dem gefrorenen Strom seinen Kreisel trieb, und auch den Gemahl verlor sie; nur eine einzige Tochter war ihre Stütze, ihre Freude, ihr Glück. Da gründete sie das herrliche Benediktinerstift Banz, indem sie einen Theil ihres umfangreichen Schlosses demselben einräumte und hoffte nun den Himmel versöhnt zu haben, und ihre Tage in Ruhe zu beschließen. …

Bechstein, Deutsches Sagenbuch, 1853, Nr.  834

Leider gibt Bechstein keine Quellen an, so dass die Herkunft der Sage im Dunkel bleibt.

Aber die Fehlinterpretation von Rochholz zieht sich durch die gesamte Literatur und hat 150 Jahre überdauert!

Links

Ein Gedicht zum Thema von Franz Schmidt, aus dem Sagenbuch der Bayrischen Lande, München, 1852, S. 193, Nr. 191

Das Bild zeigt einen Ausschnitt von Brueghels Jägern im Schnee mit kreiselspielenden Kindern auf dem Eis.


  1. Endrei, Walter; Spiele und Unterhaltung im alten Europa, Corvina, 1986, S. 155 (auch: Hanau: Dausien, 1988)
    Henk, Ottilie; Deutscher Wortatlas: Der Kreisel, Phil. Diss., Marburg, 1944 (masch.)
    Böhme, Franz Magnus, Deutsches Kinderlied und Kinderspiel / Volksüberlieferungen aus allen Landen dt. Zunge, gesammelt, geordnet u. mit Angabe d. Quellen, Leipzig: Breitkopf u. Härtel 1897, S. 420 (in der Ausgabe 1924)
    Wehrhan, Karl; Kinderlied und Kinderspiel, Leipzig: Heims, 1909, S. 64 
    Boesch, Hans; Kinderleben in der deutschen Vergangenheit: mit Abbildungen nach den Originalen aus dem 15. – 18. Jahrhundert, Leipzig: Diederichs, 1900, S. 73
    Richter, Albert; Zur Geschichte des deutschen Kinderspiels. Culturgeschichtliche Skizze, Westermann’s Jahrbuch der illustrirten deutschen Monatshefte, Neunundzwanzigster Band. Der neuen Folge dreizehnter Band. October 1870 — März 1871. Braunschweig : Westermann, 1871, S. 42f  ↩︎
  2. der gleiche Text war um 2001 veröffentlicht , wohl von Heinz Stammberger, unter http://www.stammberger-gartenholz.de/news-aus-dem-oberen-maintal/kloster-banz.php (nicht mehr online) ↩︎
  3. Persönliche Auskunft von Johannes Zimmermann, einem Lehrer, der zu Geschichte von Heidenfeld geforscht und eine Chronik veröffentlicht hat: Zimmermann, Johannes; Heidenfeld – Pfarrei und Dorf, 1141 – 1991. Verlag: Münsterschwarzbach, Benedict Press, 1991 ↩︎
  4. Backmund schreibt dazu: „Urkundlich steht nur fest, daß Graf Hermann von Habsberg und sein Weib Albraht, geborene Markgräfin von Schweinfurt (nicht von Banz) 1069 die Propstei Heidenfeld, wo bereits „Kanoniker Gott dienten“, dem Hochstift Würzburg übergaben. Es scheint zunächst ein Kollegialstift gewesen zu sein, denn nach Ussermann, der sich auf verlorene Quellen, vielleicht aber auch nur auf eine Tradition stützt, hat Bischof Adalbero von Würzburg, ein Onkel der Gräfin Albraht, erst 1071 das Stift Heidenfeld dem Augustinerchorherrenorden übergeben und einen gewissen Otto als ersten Propst aus einem nicht genannten bayerischen Stift dorthin berufen. Dies entspricht höchstwahrscheinlich den Tatsachen.“ (Backmund, Norbert; Die Chorherrenorden und ihre Stifte in Bayern, Neue Presse, Passau, 1966, S. 84) ↩︎
  5. Rochholz, Ernst Ludwig; Alemannisches Kinderlied und Kinderspiel aus der Schweiz, Leipzig, 1857, S. 420. ↩︎